Ein Juraprofessor schreibt auf Twitter, dass EinkommenSsteuer, so wie alle anderen Steuern ohne Fugen-S geschrieben wird. Nur übertritt er mit dieser Aussage die Grenze zwischen zwei Sprachsphären. Das Fugen-S wird im Deutschen weitgehend ohne konkrete Regeln verwendet. Es ist eine Form des Genitivs und bei manchen Komposita ist es gebräuchlich, wie zum Beispiel bei SchicksalSschlag oder RettungSboot. Bei sehr vielen Komposita ist es nicht gebräuchlich: Schifffahrt, Hausflur. Bei wieder anderen sind beide Formen gebräuchlich: Gedicht-S-interpretation oder eben Steuern. So ist die Situation in der Standardsphäre des Deutschen. Nicht aber im Juristendeutsch. In den spezifischen Gesetzen steht explizit Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, usw. Aber nur weil es in der einen Sprachsphäre die eine Art verwendet wird, heißt es nicht, dass die andere Art in der anderen Sphäre falsch sei.
Juristen machen dieses Spiel übrigens sehr gerne. Ein anderes Beispiel ist der Begriff Mord. Ein Mord ist laut dem Strafgesetzbuch eine Tötung bei dem bestimmte Mordmerkmale erfüllt sind, wie Habgier oder Heimtücke. Das ist teilweise im Allgemeinwissen angekommen. Dennoch wird auch noch die alte juristische Definition im Standardsprachgebrauch verwendet, dass ein Mord eine absichtliche (oder manchmal vorsätzliche) Tötung sei. Oder Mord wird einfach weitgehend mit Tötung gleichgesetzt. Ist diese abweichende Verwendung des Worts falsch nur weil der Gesetzgeber etwas anderes ins Gesetz geschrieben hat? Wohl kaum.
Oder ist die Gleichsetzung von Besitz und Eigentum in der Alltagssprache falsch, nur weil das deutsche Sachenrecht hier eine wesentliche Unterscheidung sieht?
Eine weitere übliche Übertretung der Sprachsphären ist bei der Wissenschaftssprache zu beobachten. Das noch immer in der Standardsprachsphäre übliche Wort Verschwörungstheorie, sei laut manchen nicht geeignet, da Verschwörungen keine wissenschaftlichen Theorien seien. Stattdessen seien die Begriffe Verschwörungsmythos oder Verschwörungserzählung sinnvoller. Nur verwendet der durchschnittliche Deutschsprechende den Begriff Theorie, so wie ein Wissenschaftler? Sicher nicht.
Ein ähnliches Beispiel ist das vermeintliche Konfliktfeld der Endonyme bzw. Exonyme. Die Türkei will seit ein paar Jahren nicht mehr Turkey im Englischen genannt werden, weil es ein Homonym zu Truthahn ist. Aber nur weil die Türkei jetzt international Türkiye heißen will, sind die Begriffe Türkei oder Turkey nicht inkorrekt. Genauso können Trumpanhänger vom Golf von Amerika sprechen, obwohl es die ganze Welt Golf von Mexiko nennt. Und der Konflikt zwischen Korea (sowohl Nord als auch Süd) und Japan, ob das dazwischen liegende Meer jetzt Japanisches Meer oder Ostmeer heißt, ist natürlich genauso lächerlich. Denn wieso sollte man anderen vorschreiben müssen wie sie in ihrer Sprache zu sprechen haben?