Der Begriff Ethnie wirkt auf den ersten Blick wie eine nützliche Kategorie, um Gruppen von Menschen mit ähnlicher Sprache, Herkunft oder Kultur zu beschreiben. In Wirklichkeit ist er aber nicht nur unbrauchbar, sondern sogar schädlich. Denn er suggeriert eine Klarheit und Objektivität, die es gar nicht gibt. Was soll jemanden ethnisch „deutsch“ machen? Sprache? Herkunft? Bräuche? Kleidung? Oder doch nur das Gefühl, dazuzugehören? Man kann sich durch alle diese Merkmale hangeln, und bei jedem Einzelnen wird man jemanden finden, der das eine erfüllt und das andere nicht. Am Ende läuft es darauf hinaus, dass man es entweder glaubt, oder nicht. Und das ist kein wissenschaftliches Kriterium.
Schauen wir uns das Beispiel Deutsch als Ethnie an:
Was bedeutet es eigentlich, ethnisch deutsch zu sein? Die Frage klingt simpel, vielleicht sogar banal, bis man versucht, sie ernsthaft zu beantworten. Sprache? Naheliegend. Aber was ist mit Österreichern? Mit Schweizern? Mit Südtirolern, die ein manchmal schwer verständliches Deutsch sprechen, aber eben doch Deutsch? Und was ist mit Menschen, die Deutsch perfekt beherrschen, aber nicht hier geboren wurden, oder deren Eltern nicht hier geboren wurden, oder deren Großeltern? Zählt das? Wenn ja, wie weit zurück? Wenn nein, warum nicht?
Vielleicht also Abstammung. Doch auch das wird schnell unübersichtlich. Ist jemand „deutsch“, weil alle acht Urgroßeltern in den Grenzen des heutigen Deutschlands lebten? Oder zählt es schon, wenn einer davon ein Mecklenburger war und der Rest polnische Juden? Wie verhält es sich mit Nachfahren von Russlanddeutschen, die über Kasachstan nach Niedersachsen gekommen sind, Deutsch sprechen, Bratwurst grillen und ihre Nachbarn grüßen wie alle anderen auch, aber eben „nicht ganz deutsch“ wirken?
Dann vielleicht Kultur? Aber was wäre das? Das Oktoberfest? Dialekt? Gartenzwerge? Die „Kuckucksuhr“, wie sie in klischeebeladenen Argumentationen oft herhalten muss? Aber wer in Deutschland besitzt eine? Und wer will eine? Die Bräuche in Ostfriesland unterscheiden sich erheblich von denen im Schwarzwald. Weihnachten wird von atheistischen Familien ebenso gefeiert wie von gläubigen Katholiken. Die einen schauen Tatort, die anderen Netflix. Die Unterschiede zwischen „Deutschen“ sind oft grösser als zwischen einem Berliner und einem Prager.
Am Ende bleibt das diffuse Gefühl: deutsch ist, wer sich deutsch fühlt oder dafür gehalten wird. Doch das ist kein Kriterium, sondern ein Zirkelschluss. Es lässt sich nicht objektivieren, nicht überprüfen, nicht abgrenzen. Ethnie, so verstanden, ist keine Beschreibung, sondern ein Behauptungsraum. Und genau darin liegt das Problem. Sie tut so, als wäre sie präzise, greifbar, unterscheidbar, und ist in Wirklichkeit ein Nebel aus Zuschreibungen, Erwartungen und historischer Willkür.
Ethnie erweist sich, am Beispiel des „Deutschen“, als das, was sie auch in allen anderen Fällen ist: ein Konstrukt ohne festen Kern. Man kann sie nicht fassen, man kann sie nicht messen, und man kann sie auch nicht sinnvoll verteidigen, ohne sich in Widersprüche zu verstricken. Sie existiert nur, solange man daran glaubt, und verschwindet, sobald man nachfragt.
Man könnte also einfach aufhören, diesen Begriff zu verwenden. Man verliert dabei nichts – außer vielleicht die Illusion, dass Menschen in Gruppen mit klaren Grenzen passen. Und diese Illusion ist ohnehin überflüssig.